tafelfertig

Über meine wöchentlichen Gänge zur Tafel…

أهْلاً وَسَهْلاً Hoş geldiniz! Добро пожаловать!

12 Kommentare


Als ich letzten Mittwoch vor der Tafel stand und wartete, und zwar direkt vor dem Eingang, trat eine junge Frau aus der Tür, bepackt mit einer proppelvollen Riesentasche links (eine von diesen blauen Plastikdingern eines schwedischen Möbelhauses – Ihr wisst, wie groß die sind?) und einer etwas kleineren, aber ungefähr gleich schweren Tasche rechts. Sie fiel mir deshalb auf, weil ich sie überirdisch schön fand – das sage ich ganz neidlos! Lange, dunkelbraune Haare und dazu graugrüne Augen in einem ebenmäßigen Gesicht. Während ich sie total fasziniert anstarrte, glitt mein Blick an ihr herunter und ‚UM GOTTES WILLEN!‘ – mein Herz blieb beinahe stehen – sie war hochschwanger! …und schleppte sich mit diesen mörderschweren Taschen ab! Mit einem Satz war ich bei ihr, fragte sie, ob ich hier helfen könne und griff auch schon nach der Riesentasche. Normalerweise warte ich höflich eine Antwort ab, aber unter diesen Umständen – im wahrsten Sinne des Wortes – konnte und wollte ich nicht zögern. Sie sah erst verdutzt aus, lächelte dann aber und mir wurde klar, dass sie mich gar nicht verstanden hatte. Ich half ihr dann die Taschen in einem Kinderwagen, den sie mitgebracht und neben dem Eingang geparkt hatte, zu verstauen, sie bedankte sich und ich verabschiedete mich.

Ganz ehrlich, ich war ein bißchen entsetzt, dass ihr keineR der HelferInnen beim Tragen geholfen hat. Normalerweise stehen immer Leute bereit, wenn z. B. jemand im Rollstuhl, Rollator oder auf Krücken zur Tafel kommt oder geht. Nun gut, vielleicht hat es niemand bemerkt, dass sie einen Schwangerschaftsbauch hat…kann ja vorkommen. Ich war nur froh, dass ich es sah, und nächste Woche werde ich nach ihr Ausschau halten und ihr gerne wieder helfen, wenn es sonst niemand tut.

Dadurch kam es, dass ich mir Gedanken über Menschen aus anderen Ländern machte, und das ist das Thema, über welches ich heute schreiben werde.

Vor 2 Jahren und auch davor arbeitete ich in einem Frühstückshotel im Front Service. Ich war u. a. zuständig für die Rezeption, habe das Frühstücksbuffet vorbereitet und aufgebaut, Aufschnittplatten belegt, nachgefüllt, wenn etwas ausging, Sonderwünsche erfüllt und so Sachen halt.

Mir hat die Arbeit großen Spaß gemacht, denn ich konnte mit Menschen aus der ganzen Welt in Kontakt treten und hatte dadurch oft das Gefühl, selbst im Urlaub zu sein. Ich fand es total spannend zu den Namen im Reservierungsbuch den oder die Menschen dazu kennen zu lernen, und es fanden auch immer wieder lustige und interessante Momente statt – weitaus mehr als als unangenehme oder unerfreuliche.

Die Kommunikation klappte meistens prima, da ich sehr gut Englisch sowie auch ein wenig Französisch spreche. Ferner kann ich in allen möglichen Sprachen „Herzlich Willkommen“, „Danke“, „Bitte“ oder „Guten Tag“ und „Auf Wiedersehen“ sagen. Diese kleinen Brocken sind wahre Türöffner und ich finde es immer wieder zu schön, wenn sich jemand freut, ein paar Worte in seiner/ihrer Landessprache zu hören. Ich konnte das Krachen des Eises, welches da so manches Mal brach, förmlich hören. Nicht, dass sämtliche Gäste frostige Naturen wären, nein, ganz im Gegenteil! Die meisten sind sehr aufgeschlossen, wenn auch zurückhaltend. Befinden sie sich doch in einem anderen Land, dessen Sprache sie weder sprechen noch verstehen. Ich kenne das aus eigener Erfahrung und kann diese Unsicherheit gut nachempfinden.

Was ich mit der Zeit feststellte und mir besonders bewusst wurde, war, dass wir Menschen, ganz egal aus welchem Land wir kommen und ganz egal, wie unterschiedlich unsere kulturellen Hintergründe sein mögen, trotzdem SEHR viel GEMEINSAM haben.

Wir freuen uns, wenn uns jemand an einem heißen Tag Wasser anbietet oder sich jemand nach unserem Befinden erkundigt. Wenn uns ein Mensch verständnisvoll und hilfsbereit begegnet, wenn uns ein Malheur passiert ist oder wenn unsere Wünsche ernst genommen und erfüllt werden. Wenn da ein Mensch ist, der uns empathisch begegnet, wenn wir uns unsicher fühlen. Und wenn man uns dann noch in einem anderen Land in unserer Sprache einen ‚Guten Tag‘ wünscht, dann scheint sogar an einem Regentag für uns die Sonne.

Meine Erfahrung ist, dass wir Menschen Frieden wollen. Wir möchten miteinander zurecht kommen und nett zu einander sein. Schon klar, dass das nicht immer geht oder funktioniert. Aber unsere Basis, unser selbst ganz tief im Inneren, möchte Liebe, Verständnis, Freundlichkeit, Glück, Ruhe und Frieden. Und ich schätze mich glücklich, dass ich um diese Basis weiß und Menschen dadurch vertrauensvoll begegnen kann.

Mir fällt noch eine Geschichte ein, die mir Anfang der 90er passiert ist als ich meine Mittlere Reife an einer Hamburger Berufsfachschule nachholte.

An dieser Schule waren besonders viele SchülerInnen aus anderen Ländern, da dort Deutsch als Fremdsprache unterrichtet wurde. Da ich ein sehr neugieriger und aufgeschlossener Mensch bin, fiel es mir leicht, Kontakte zu knüpfen und so kam es auch dazu, dass ich mich mit 2 jungen Männern (16-18 Jahre damals) anfreundete, die über irgendwelche abenteuerliche Wege aus Afghanistan nach Deutschland geflohen waren, da zu der Zeit Krieg in ihrem Land herrschte (das tat es noch lange Jahre und dort geht es politisch immer noch sehr unruhig und gewaltvoll zu).

Eines Tages, während der langen Pause, fragte mich der eine von ihnen:“Sag mal, Karen, aus welchem Land kommst Du eigentlich?“ Ich antwortete: “Aus Deutschland.“ Er lachte ein wenig und meinte:“Nee, jetzt mal im Ernst, wo kommst Du her?“ Ich war etwas verwirrt und sagte ihm:“Na, von hier!“ Er setzte noch mal nach:“Karen, ich meine, in welchem Land bist Du geboren?“ In dem Moment bekam ich das Gefühl, der will mich jetzt und hier ein wenig veräppeln und erklärte ihm erneut, dass ich in Deutschland geboren sei, meine Eltern Deutsche sind und wenn er möchte, dann zeige ich ihm meinen Ausweis!

Sein Gesichtsausdruck wurde dann sehr ernst, und er wirkte ein wenig so, als würde er denken, dass ich ihn veräppeln würde und er meinte:“Das glaube ich nicht! Ja, zeige mir Deinen Ausweis.“ Ich kramte diesen dann hervor und gab ihn ihm. Er sah sich diesen an und schien beinahe ungläubig und daher fragte ich ihn: „Ja, was hast Du denn gedacht, wo ich herkomme?“ Er überlegte kurz und meinte: „Aus Jugoslawien oder so.“ Da wollte ich dann wissen: „ Wie kommst Du denn darauf?“ und setzte lachend nach: „Wieso sollte ich nicht aus Deutschland sein?“ Seine Antwort traf mich dann wie ein Hammerschlag: „Du bist so nett.“

Ich kann und werde diesen Moment und diesen Satz niemals vergessen! Und ich habe mich damals gefragt, was, um Himmels Willen, hat er bloß für Erfahrungen in diesem Land gemacht? Ganz ehrlich? Mir war das hochnotpeinlich! Und noch schlimmer: mir passierte ein ähnliches Gespräch tatsächlich NOCH einmal…mit einem jungen Mann aus Burkina Faso.

Ich stelle mir das Leben als MigrantIn in Deutschland nicht lustig vor. Und wenn man dann auch noch zur Tafel muß – na, danke schön! Mich ärgern Sätze wie: „Und dann schleppen die Türkenmuttis das Zeug zentnerweise nach Hause…“. Das geht mir sowas von gegen den Strich! Allein die Bezeichnung ‚Türkenmutti‘ läßt meinen Kamm schwellen! Wie respektlos! Woher wissen diejenigen, die solche Klopper vom Stapel lassen, dass genau diese Frau aus der Türkei stammt? Vielleicht ist sie ja auch Kurdin oder stammt aus Algerien oder dem Jemen oder was weiß ich?

Und warum sollen sie NICHT ‚zentnerweise‘ Lebensmittel aus der Tafel erhalten? Was soll das? Das sind Lebensmittel, die sowieso weg geschmissen würden – Wohlstandsmüll, den keineR mehr kauft. Achso, es würde mehr für ‚uns‘ übrig bleiben…jaja! So arm kann ich gar nicht sein, als das ich nicht mehr teilen mag! Ferner sind es nicht sie, nach denen getreten werden sollte, sondern unsere PolitikerInnen, die dafür gesorgt haben, dass die soziale Schere in Deutschland gerade ein Rekordniveau erreicht hat. Über ein Drittel des Reichtums liegt in der Hand von nur einem Prozent der Deutschen, während die Armutsquote in diesem Jahr bei 15,2% liegt. (Davon sind übrigens besonders Erwerbslose und Alleinerziehende betroffen!) Wir haben hier ein Wirtschaftswachstum und die Zahl der Arbeitslosen sinkt, aber die Armutsquote ist so hoch wie nie??? Fragt Euch mal, wie sowas sein kann und wer das zu verantworten hat! Türkische Hausfrauen oder Kriegsflüchtlinge aus Syrien garantiert NICHT!

OHNE MigrantInnen würde unser Bruttoinlandsprodukt um 8% sinken, und wir müßten auf 50 Mrd € Steuergelder verzichten! Und die ausländische Touristen bringen auch noch mal 26 Mrd € ins Land! Die würden allerdings auch nicht mehr so zahlreich hier erscheinen, wenn wir hier keine ‚Ausländer‘ haben wollten!

Lasst Euch gesagt sein, dass Menschen aus anderen Ländern uns mehr einbringen als sie uns kosten…und das meine ich nicht nur in finanzieller Hinsicht!

Hier findet Ihr meine Lieblingsrede von CHARLIE CHAPLIN im Original…

 

Image

 

 

 

Autor: tafelfertig

Nenne Dich nicht arm, weil Deine Träume nicht in Erfüllung gegangen sind; wirklich arm ist nur, wer nie geträumt hat. Marie von Ebner-Eschenbach

12 Kommentare zu “أهْلاً وَسَهْلاً Hoş geldiniz! Добро пожаловать!

  1. Wieder einmal ein engagierter und interessanter Artikel! Danke!

  2. Wieder einmal super geschrieben und ich bin jedesmal aufs Neue fasziniert, was uns doch im alltäglichen Leben so auffällt worüber man seit Monaten wenn nicht gar Jahren gedacht hat oder gesprochen 🙂

    Liebste Grüße
    Tina

    • Vielen Dank, Tina. 🙂

      Ich bin mit meinem Artikelchen nicht ganz so zufrieden, weil mir noch sooo viele Dinge zu dem Thema eingefallen sind. Und ich hab mich gefragt, ob der Text vielleicht zu oberflächlich daher kommt.

      Als Denkanstoß dient er allemal! 😀

      Dicker Marzipangruß zurück
      Karen

  3. Gefällt mir sehr, dein Eintrag. Mich fragte letztes ein Mann, ob ich aus Berlin käme. Nachdem ich sagte, dass ich aus der Lüneburger Heide käme, meinte er erstaunt, ich wäre so offen und freundlich Fremden gegenüber, so richtig weltmännisch, das hätte er bisher nur in Berlin so erlebt. Das fand ich schon aehr erstaunlich. Aber Deine Erlebnisse spiegeln das ja auch wieder.
    Ich wünsche Dir eine schöne Woche. LG

    • 😀 Erst mal meinen herzlichen Glückwunsch: Du hast mir den 100. Kommentar beschert! ❤ ❤ ❤

      Weltoffenheit ist eine tolle Gabe, wie ich finde. Prima Kompliment von dem Herrn!

      Viel schöne Zeit in Deinem Garten wünscht Dir
      Karen 🙂

  4. oh fein, ich glaube, ich habe noch nie den 100. Kommentar geschrieben 🙂

  5. D A N K E liebe Karen!!!

    Du sprichst mir so aus dem Herzen – ein super Artikel und richtig auf den Punkt gebracht. Allerdings hatte ich gehofft und gedacht, dass sich die Mentalität seit der WM in unserem Land doch ein wenig aufgehellt hatte. Wahrscheinlich liegt es aber wohl eher daran, dass ich in meinem persönlichen Umfeld von vielen positiven Menschen umgeben bin.

    Umso mehr hat es mich allerdings vor einiger Zeit geschockt, dass Frau Merkel mit der Aussage daherkam „Mulitkulti ist bei uns gescheitert“ (so oder ähnlich). Das finde ich haarsträubend. Erst einmal würde es einen Endstand bedeuten… und ich denke, wir und unsere Mitmenschen entwickeln uns stetig und ständig weiter… somit klingt es nach Aufgabe… und zweitens bedeutet dies einen Schlag ins Gesicht aller derjenigen, die „Multikulti“ leben.

    In dieser Hinsicht habe ich mich auf meinen beiden Reisen in London sehr wohl gefühlt, wo auf mich das Miteinander sämtlicher Kulturen selbstverständlicher wirkte. Ich schreibe bewusst „wirkte“, weil sich mir im Nachhinein schon die Frage stellte, wie es der einzelne empfindet, der dort lebt.

    Für mich sind noch immer folgende Sätze wichtig:

    „Behandle jeden Menschen so, wie Du selbst behandelt werden möchtest.“

    und

    „Ich bin Ausländer – fast überall auf der Welt.“

    Freundlichkeit, Offenheit und Toleranz sollten für ALLE selbstverständlich sein.

    Herzliche Umarmung
    Sigi

    • Liebe Sigi,

      vielen Dank für Deinen sympathischen Kommentar!

      Ja, nach ‚der‘ WM spürte ich auch einen ordentlichen Ruck, der durch’s Land ging und der mir gut gefiel. Für mich persönlich ist da auch niemals etwas von abgeebbt… 🙂

      Und diese unsägliche Aussage von Frau Merkel ist mir auch bekannt. Was für ein Mist! Mir geht das Wort ‚Integration‘ schon so sehr gegen den Strich! Was wir hier definitiv brauchen ist eine ‚Inklusion‘, und ich persönlich lebe diese. Jawoll!

      Zum Glück ist mein Umfeld mir da sehr ähnlich – nichtsdestotrotz schnappe ich ab und zu doch noch unmenschliche Äußerungen auf, die mich schütteln lassen. Das sind dann Momente, wo ich amtlich auf verbale Barrikaden gehe und erst einmal Wissen, Fakten und eine humane Denkweise verbreiten muß. Das werde ich auch niemals müde.

      Meine wichtiger Satz lautet übrigens:

      „Was Du nicht willst, das man dir tu‘, das füg‘ auch keinem anderen zu.“

      Kleine Regel eigentlich. 🙂

      Herzliche Umarmung zurück!

      Karen

  6. Jajajaaaa! „Das sind dann Momente, wo ich amtlich auf verbale Barrikaden gehe und erst einmal Wissen, Fakten und eine humane Denkweise verbreiten muß. Das werde ich auch niemals müde.“ Darin möchte ich Dich herzlichst bestärken!!! Bussi, Sigi

Hinterlasse einen Kommentar